Ritterarbeit des Junkers Rupert vorgetragen am 31. 10. a. U. 163 Schlaraffia in Vergangenheit und Zukunft Eine sozialpsychologische Analyse mit Empfehlungen Herkunft und Inhalt von Schlaraffia Die Vereinigung von Männern formierte sich ab 1859 in Prag als kritische aber unpolitische Gruppe u.a. aufgrund des damaligen politischen und gesellschaftlichen und politischen Druckes. Auf dem Hintergrund von Spitzel-und Denunziantentum, die von monar- chischen Kreisen ausging ist die Bildung dieser deutschsprachigen Sprach-und Kulturinsel zu verstehen. Seit Beginn von Schlaraffia werden drei Ideale als Sinn ihrer Existenz und als Inhalt eines in feste Formen gefasste Ritterspiele genannt: Pflege der Kunst, der Freundschaft und des Humors. Geschützt in ihren "Burgen" konnten die alternativ und frei denkenden Menschen unter denen viele Künstler, Schriftsteller und Musiker waren, ihre Werke an verschiedenen Orten bzw. in verschieden "Reychen" vorstellen und kritisch diskutieren. Dies geschah stets in freundschaftlicher Gesinnung und mit vom Herzen getragenem Humor. Auf der Grundlage eines ritterlichen Spiels entwickelten sich schon in der damaligen Zeit verbindliche Regeln des freundschaftlichen Umgangs, die sukzessive im sog. Spiegel und Cerimoniale festgehalten wurden. An ihnen orientierten sich sich in den folgenden Jahren alle schlaraffischen Reyche. Diese schlaraffischen Reyche bildeten auch unter schwierigen politischen Umständen einen schützenden Ort Gleichgesinnter, in welchem inhaltlich Kunst und Kultur im Mittelpunkt standen und Themen aus Politik, Religion und sexuelle Themen ausgeschlossen waren. Heute treffen sich Schlaraffen unter dem bürgerlich-rechtlichen Schirm mit dem Namen Schlaraffia in vielen Reychen rund um die Erde. Dabei ist der Verein Schlaraffia nur als bürgerlich-rechtliche Körperschaft zu verstehen. Der Kern des Geschehens spielt sich in den wöchentlichen Sippungen in deutscher Sprache ab. Schlaraffia und heutige Gesellschaft In den meisten freiheitlichen und demokratisch regierten Ländern mit offenen und multikulturellen Gesellschaften besteht über ein breites Spektrum ein weiter und freier Raum zur Präsentation von Meinungen und Stellungnahmen zu sämtlichen gesellschaftlichen Themen des Lebens. Niemand und keine gesellschaftliche Gruppe, die sich an die demokratische Grundregeln unserer Verfassung hält, muß zu ihrem Schutz im Verborgenen von Burgen zusammenkommen. Gerade im Bereich von Kunst, Kultur und Literatur besteht größtmögliche Freiheit des Denkens und Gestaltens. Die Diversität der geistigen Strömungen aus Wissenschaft, Forschung, Politik, Wirtschaft, Religion u.a. Bereichen nimmt ständig zu und es fällt immer schwerer sich in dieser Vielfalt überhaupt noch zurechtzufinden. Dabei ändern sich stetig Werte und Einstellungen der Menschen aber auch die Medien mit denen Information und Meinung verbreitet werden. In einem stetigen Wandel steigen neue Strömungen und Interessengruppen auf die öffentliche Bühne und andere Gruppen, Vereine und politische Parteien verändern sich oder lösen sich auf. In diesem brodelnden Sog des gesellschaftlichen Wandels verlieren in Deutschland und Europa zum Beispiel große Vereinigungen wie kath. und evangelische Kirchen alarmierend viele Mitglieder. In der Auseinandersetzung zwischen ideellem Anspruch und Wirklichkeit haben diese Körperschaften für Menschen in der heutigen Zeit ihren Sinn verloren, ein schützender Hort der Ruhe, Zuversicht und geistigen Orientierung zu sein. Das Streben des heutigen Individiums nach individueller Verwirklichung geht bei karriereorientierten Menschen sogar über den beruflichen Bereich hinaus auch in die privaten Freizeitaktivitäten über. Die freie Zeit wird zunehmend funktional und zielstrebig für bestimmte Zwecke eingeplant. Sport dient z.B. zur körperlichen Ertüchtigung, Theaterbesuche zur kulturellen Bereicherung, Reisen zur Allgemeinbildung. Andersartig geprägte Menschen begeben sich bei den Anforderungen und Erwartungen aus Beruf und Familie in den Sog des riesigen Freizeitangebots oder gleiten ab in ausweichende Lebensmodelle mit Alkohol und Drogen. Unter dem Druck der Leistungsgesellschaft wäre es für viele Menschen schon ein Gewinn, wenn sie in einem zeitlich begrenzten Rahmen sich aus diversem Erwartungsdruck herauslösen könnten und zu echter, zweckfreier Entspannung fänden. Ein Abend ohne Abrechnungen, Telefonate und emails, ein Abend ohne Planungen und Überlegungen, ein Abend ohne Medien, ein Abend ohne sog. Müll des Alltagslebens und Diskussion mit der Partnerin ? Sind wir da nicht bei Schlaraffia gelandet ? Herausforderungen und gesellschaftliche Weichenstellungen Neben Familie und Beruf möchten die meisten Menschen je nach sozialem Temperament auch gerne Mitglied anderer informeller (z.B. ein Stammtisch) oder formeller Gruppen ( z.B. Musikverein) sein. Es wird als bereichernd und schön empfunden, dabei zu sein und sich einbringen zu können. Das Angebot an Möglichkeiten ist heutzutage riesig groß und im Wettbewerb um neue Mitglieder sind die Vereine unterschiedlich kreativ und mehr oder weniger erfolgreich. Die größte Konkurrenz zur Mitwirkung in einer Gruppe ist die heutige Möglichkeit und Neigung zu Individualismus oder zu unüberlegtem Konsum im Überangebot im allen Bereichen. Wie wählen Menschen ihre Freizeitaktivitäten aus ? Bei der Auswahl der sogenannten Freizeitaktivität orientieren sich die Menschen meist an ihren Neigungen und Bedürfnissen, die sie von sich aus mitbringen oder denen sie in ihren primären Gruppen von Familie und Beruf weniger nachgehen können. Die Anstrengung und der Einsatz sollte sich in einem positiven und direkten Nutzen niederschlagen; beim Sport die gesundheitliche Fitness, bei Musik die künstlerische Erbauung. Bei den meisten Vereinen sind die Aktivitäten auch gepaart mit einer mehr oder weniger engen Kameradschaft und Einbindung. Die Wahl richtet sich auch nach dem örtlichen Angebot, nach finanzieller und zeitlicher Belastung. Viele Menschen möchten dabei ungern neue Verantwortung und Pflichten auf sich nehmen. Das Einbringen der eigenen Fähigkeiten soll Freude machen und im Verein auf möglichst große Anerkennung stoßen. Die Wahl trifft eher auf Vereine, die gesellschaftlich angesehen und öffentlich bekannt sind oder von Familienmitgliedern oder Freunden empfohlen werden. Je höher die persönliche Akzeptanz der Vereinsmitglieder ist, desto mehr bringt sich das neue Mitglied in der Regel ein, desto leichter fällt es Interessenten für den Verein zu gewinnen. Neben diesen Faktoren einer Auswahl spielen auch mehrere unbewusste psychologische Aspekte eine Rolle. Für viele Vereinsmitglieder ist diese Wahl eine Flucht in ein neues Umfeld, in welchem es Anerkennung, Würdigung oder Trost in verschiedenen Lebensphasen findet. Bei diesen Gegebenheiten ist es oft möglich, dass sich Vereinsmitglieder mit aller Kraft und mit aufopferndem Eifer in den anfallenden Aufgaben verlieren. Bei idiologisch- religiösen Gruppen besteht für Menschen mit geringer Ich-stabilität oder diverser neurotischer Prägung die Gefahr, dass sie sich total für die Ziele und Zwecke der Gruppe aufgeben. Sie lassen sich mißbrauchen. Neue Mitglieder für Schlaraffia ? Die Werbung für Schlaraffia wird in den Reychen unterschiedlich, aber auch mit unterschiedlichem Erfolg praktiziert. Die Ausrichtung auf Männer im gesetzten Alter ist sicher eine gute Wahl, denn hier finden sich eher abgeklärte und reife Kandidaten. Die Reyche und deren Sassen sind nach § 22 des schlaraffischen Bundes angewiesen, nur Männer mit unbescholtenem Rufe in reiferem Lebensalter und gesicherter Stellung aufzunehmen und die Verständnis für die idealen Zwecke des Schlaraffentums haben und gewillt sind, diese zu verwirklichen. Die Werbung für neue Mitglieder ist für Vereinigungen aller Geistesrichtungen eine wichtige Aufgabe. In den vergangenen Jahrzehnten hat es Schlaraffia sicherlich versäumt, intensiv und gezielt um neue Mitglieder zu werben. Die jetzige demoskopische Zusammensetzung der Reyche belegt dies und die Voraussetzungen für neue Werbemaßnahmen sind unter heutigen Gegebenheiten nicht besser geworden. Menschen neigen dazu, sich eher mit Gleichaltrigen zu treffen, da sich die gesellschaftliche Prägung in Sprache, Umgang und Lebenserfahrung insgesamt ähnelt. Häufig konnte die Werbung bei jüngeren Männern auch aus diesem Grunde nicht funktionieren. Weitere wichtige Aspekte der soziologischen und gruppendynamischen Gesetze und Kräfte lassen sich im Vergleich mit ähnlich strukturierten Vereinen leichter darstellen: am Beispiel Männerchor. Es handelt sich um eine homogene Altersgruppe von Männern zwischen 60 und 80 Jahren, die sich über viele Jahre zu gemeinsamem Tun selbstgefällig eingerichtet haben, dabei auch Freude und Erfolg im Gemeinsamen Tun verzeichnen konnten; Chorliteratur und Chorleiter behielten ihre traditionelle Ausrichtung. Bestimmte Verhaltensweisen, Umgangsformen und Aktivitäten und eine gewisse Rangordnung haben sich herausgebildet. Auf dem Hintergrund einer gesteigerten Selbstschätzung und Selbstwahrnehmung wurde die Werbung um Nachwuchssänger versäumt. Für eventuelle Aspiranten des Chores war der Zugang zu der in sich geschlossen wirkenden Gemeinschaft nicht attraktiv genug, da es für den jungen Sänger in der offenen Gesellschaft viele andere Angebote und Alternativen gibt. Damit war der" sterbende Schwan" Männerchor geboren. Mit dem altersgemäßen Ausscheiden mehrerer Stimmen bricht der Chor zusammen. Durch das Zusammenlegen mehrerer Nachbarschaftschöre läßt sich das Ende zwar etwas verschieben aber nicht aufhalten. Das Besondere an Schlaraffia In den schlaraffischen Reychen sind seit Jahrzehnten" Spiegel und Cerimoniale " die ausschließliche Richtschnur des Tuns. Ähnlich wie in anderen Vereinen haben sich dadurch aber auch feste Strukturen, Formen und Verhaltensregeln herausgebildet. Dies hat sich im Sinne des schlaraffischen Spiels weitgehend bewährt, aber im Gegensatz zu den meisten Vereinen und Gruppen findet Schlaraffia nicht öffentlich, sondern im Verborgenen statt. Aufmerksamkeit außerhalb der eigenen Gruppe kann man jedoch viel leichter erreichen, wenn man sichtbar ist. Werbung für die vollkommen unbekannte Schlaraffia ist aus mehreren Gründen sehr schwierig: Inhalt und Ziele von Schlaraffia sind in der sog." profanen Welt " schwer zu erklären. Manchmal gibt es sogar Verwechslungen mit ähnlichen Vereinigungen wie studentischen Bünden, Freimaurern u.a. Interessenten für Schlaraffia, die als sog. Pilger in eine Sippung hereinschauen ist das ritterliche Spiel und die " Verkleidung" der Akteure unbedingt im Vorfeld zu erklären. Zwar hat sich die Willkommenskultur in den Reychen verbessert, aber mit Überzeugungsarbeit alleine lassen sich selten neue Sassen gewinnen. Der Aspirant sollte von sich aus Interesse haben und Suchender sein. Schlußfolgerungen Werbung für Schlaraffia ist schwierig und beinhaltet Hürden auf mehreren Ebenen - Schlaraffia ist in der Öffentlichkeit unbekannt - das schlaraffische Spiel ist in den unterschiedlichen Facetten von Inhalt, Sprache und Ablauf schwer zu durchschauen Schlaraffen haben aus ihrer homogenen Altersgruppe heraus erhöhte Probleme der Werbung unter Jüngeren Werbung geschieht derzeit in dem begrenzten Potential von Freunden und Bekannten Misserfolg bei Werbung sollte nicht auf sich selber bezogen werden, sondern hat inhaltliche, strukturelle und gesellschaftliche Gründe Schlaraffen nehmen sich als Insidergruppe wahr und zeigen dies demonstrativ, für Werbung nach Außen ist damit nichts erreicht. Die demoskopische Zusammensetzung der Reyche ist homogen und im höheren Lebensalter, die entstehenden Lücken können kaum ersetzt werden Schlaraffia fordert regelmäßige Teilnahme an Sippungen Schlaraffia ist anspruchsvoll, es fällt nicht jedem leicht mit qualifizierten Fechsungen zum schlaraffischen Spiel beizutragen. Den daraus entstehenden persönlichen Stress können viele nicht in Kauf nehmen. Bis sie den" glühenden Ball" erspüren, sind sie selber verglüht. Empfehlung zu kleinen Schritten der Veränderung Sippungsdauer auf insgesamt 2,5 Stunden reduzieren, disziplinierte und humorvolle Sippungsleitung, Disziplin der Sassen mit Wortmeldungen Teilweise Streichung oder Modifizierung von zeremonialen Elementen die zu einer Verkürzung der Sippungsdauer führen sollten. Eine straffe Durchführung des Einrittes und des Empfangs der Gäste, bei mehr als 12 einreitenden Gästen keine Empfang über die Vorburg, weniger Geldsammlungen, schlaraffische Lieder mit weniger Strophen, Sippungsschlußlied kürzer ohne Ringelkreise der Sassen u.a.m.
Abschliessende Gedanken : Es gibt eine erhebliche Anzahl äußerlicher und inhaltlicher Aspekte an Schlaraffia, die Männer davon abhalten, sich einem Reych anzuschliessen. Die Wahrscheinlichkeit des Weiterbestands von Reychen hängt wesentlich von der inneren Dynamik der einzelnen Reyche ab. Mit diesen Ausführungen sollen nicht nur subjektive und oberflächliche Beobachtungen angeführt werden, sondern auch sozialwissenschaftliche Kriterien angewandt werden, die sich an Soziologen wie Friedhelm Neidhard, Theodor Geiger und Henri Tajfel orientieren. Sie haben sich auf wissenschaftlicher Grundlage mit den Gesetzmässigkeiten in sozialen Gruppen und der Verhaltensweise von Menschen beschäftig. Junker Rupert wurde am 5. 1. a. U. 163 (2022) zum Ritter El Tranquilo der stets Wache geschlagen
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